Pressekonferenz zu GREVIO-Evaluierungsbericht
Die Allianz "Gewaltfrei leben" lud am 2. Oktober 2017 zur Pressekonferenz anlässlich der Evaluierungsergebnisse des GREVIO-Expertinnenkomitees des Europarates zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Die Presseaussendung finden Sie hier zum Nachlesen:
Allianz „Gewaltfrei leben“ begrüßt Empfehlungen des Europarates zur Verbesserung des Gewaltschutzes in Österreich
Jede fünfte Frau in Österreich ist mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt. Eine Allianz – bestehend aus 30 NGOs – fordert mehr Schutz vor Gewalt an Frauen und Kindern.
Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Europarat-Expertinnenkomitee „GREVIO“ erstmals einen Prüfbericht, in dem die Umsetzung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Österreich evaluiert wird. Die Allianz „Gewaltfrei leben“, ein Zusammenschluss von 30 NGOs, die in der Prävention von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt tätig sind, begrüßt die Empfehlungen des Europarates zur Verbesserung des Gewaltschutzes in Österreich. Denn klar ist: Gewalt ist die extremste Ausdrucksform der ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen, sie ist ein weltweites, gesamtgesellschaftliches Phänomen - quer durch alle Gesellschaftsschichten und quer durch alle Milieus. Gewalt innerhalb der Familie ist weder eine „Familientragödie“, noch handelt es sich dabei um „Einzelfälle“ oder gar „Beziehungsdramen“, wie oft suggeriert. In Österreich ist jede fünfte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt. Schätzungsweise kommen jährlich 20-25 Frauen durch ihre eigenen (Ex-)Partner oder Familienmitglieder ums Leben. Die autonomen Frauenberatungsstellen bei sexueller Gewalt beraten und begleiten ca. 1.400 Klientinnen pro Jahr.
Der Prüfbericht des Europarates stellt Österreich vor diesem Hintergrund in vielen Bereichen ein gutes Zeugnis aus und hält fest, dass Österreich mit seinen Gewaltschutzmaßnahmen weltweit eine Vorreiterrolle eingenommen hat. Er verweist aber auch auf bedenkliche Lücken im Gewaltschutz. Lücken, die zuletzt auch durch erschütternde Gewaltakte an Frauen und Kindern in Österreich sichtbar wurden.
Während öffentliche Sicherheit den Sicherheitsdiskurs dominiert, geht das größte Sicherheitsrisiko für die Hälfte unserer Bevölkerung vom eigenen Partner oder nahen Familienangehörigen aus. Gewalt in der Familie wird noch immer als „Privatsache“ abgetan und im Verhältnis zum Ausmaß und den Folgen erschreckend wenig beachtet, oft sogar bagatellisiert. Besonders bei sexueller Gewalt sind die Opfer nach wie vor mit victim blaming konfrontiert: “Sie wollte es”, “Es ist nichts passiert”, “Sie hat es provoziert”.
Forderungen der Allianz „Gewaltfrei leben“ vom Europarat unterstützt
Die Allianz „Gewaltfrei leben“ fordert im Einklang mit dem Europarat-Komitee, dass Fälle von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt von der Strafjustiz ernster genommen werden. Dies bedarf einerseits konkreter Maßnahmen, um das Risiko einer bevorstehenden Gewalttat besser einzuschätzen und durch die Verhängung von Untersuchungshaften zu verringern. Andererseits muss sichergestellt werden, dass Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Die dringende Empfehlung des Europarat-Komitees an Österreich lautet, verpflichtende Schulungen zum Thema Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in die Ausbildungen der angehenden RichterInnen und StaatsanwältInnen zu integrieren.
Mängel sind auch im Strafjustizsystem sichtbar: Immer wieder verüben behördlich bekannte Gefährder während laufender Strafverfahren weitere Gewalttaten an ihren Frauen und Kindern – bis hin zum Mord, ohne dass sie wirkungsvoll daran gehindert werden. Die Zahl der tatsächlichen Verurteilungen bei Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist äußerst gering, viele Anzeigen werden eingestellt. Die Allianz „Gewaltfrei leben“ verweist auf das Fehlen einer systematischen und koordinierten Gefährlichkeitseinschätzungen durch Behörden und fordert genauere Prüfung einer etwaigen Untersuchungshaft bei Gewaltdelikten in der Familie vor allem bei Fällen von wiederholter Gewalt und Morddrohungen.
Den alarmierenden Zahlen körperlicher und sexueller Gewalt stehen viel zu geringe Investitionen in allen Ressorts für die Prävention von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt gegenüber. Das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen verfügt lediglich über ein Budget von 10 Millionen Euro. Das begründet unter anderem, dass nicht genügend Frauenhausplätze zur Verfügung stehen und viele Frauenhilfseinrichtungen nicht rechtsverbindlich, langfristig und ausreichend finanziert werden können. Die dringend notwendige Aufstockung des Budgets für den Gewaltschutz ist eine der zentralen Forderungen der Allianz „Gewaltfrei leben“ und eine ausdrückliche Empfehlung im jetzt veröffentlichten Evaluierungsbericht. Basierend auf einer EU-Studie, fordert die Allianz, dass zumindest 10 Prozent der Folgekosten von Gewalt in die Gewaltprävention investiert werden. Das bedeutet eine Erhöhung des Budgets des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen von 10 Millionen Euro auf 210 Millionen Euro.
Um Frauen und Mädchen besser vor Gewalt zu schützen, bedarf es laut Empfehlung des Europarat-Expertinnenkomitees auch einer umfangreichen und langfristig angelegten Gesamtstrategie, die in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in Form eines umfassenderen Nationalen Aktionsplans erarbeitet werden soll.
Gewaltschutz darf auch nicht an einen bestimmten Aufenthaltsstatus geknüpft sein. Gemeinsam mit dem Expertinnenkomitee fordert die Allianz „Gewaltfrei leben“ daher, dass der Zugang zu Recht und Unterstützungsangeboten für ALLE in Österreich lebenden Frauen und Kinder gewährleistet sein muss, auch für Frauen ohne gültigen Aufenthaltstitel. Zudem braucht es auch den verstärkten Blick auf alle vorkommenden Gewaltformen wie sexuelle Gewalt und Vergewaltigung, Zwangsheirat und weibliche Genitalverstümmelung. Die Einführung eines umfassenden Maßnahmenkatalogs in den Bereichen Prävention, Opferschutz und Strafverfolgung in Bezug auf alle Formen von Gewalt gegen Frauen wird explizit vom Expertinnenkomitee gefordert. Das Bewusstsein von Behörden über unterschiedliche Formen geschlechtsspezifischer Gewalt und frauenspezifischen Fluchtgründen muss gestärkt werden. Darüber hinaus müssen auch frauenspezifische Verfahrensrechte gewährleistet werden.
Allianz „Gewaltfrei leben“ und Europarat-Komitee fordern Politik zum Handeln auf
Der Europarat-Evaluierungsbericht ist ein Auftrag an den Staat Österreich, an alle im Nationalrat vertretenen Parteien und an die zukünftige Regierung. Die Allianz „Gewaltfrei leben“ fordert alle Parteien auf, die empfohlenen Maßnahmen des Europarat-Komitees in ihre Parteiprogramme aufzunehmen sowie diese in ihrer Regierungs- und Parlamentsarbeit umzusetzen. Die Allianz bietet mit gebündelter Expertise ihre Unterstützung und Mithilfe bei der Implementierung der Istanbul-Konvention in Österreich an.
Hintergrundinfo:
Österreich ist seit 2014 Mitglied der Istanbul-Konvention des Europarates. Diese Konvention ist ein beeindruckender Meilenstein der Frauenrechte: Als erstes verbindliches internationales Rechtsdokument, erkennt sie Gewalt an Frauen ausdrücklich als Menschenrechtsverletzung an.
Österreich war zusammen mit Monaco eines der beiden ersten Länder, das von dem Europarat-Expertinnengremium („GREVIO“- Group of Experts on Action against Violence against Women) auf seine Umsetzung der Konvention überprüft wurde. Ergänzend zu einem offiziellen Staatenbericht erstellte eine Allianz von über 30 NGOs (jetzige Allianz „Gewaltfrei leben“) einen Schattenbericht zu den Umsetzungsmängeln der Konvention in Österreich.
Gewaltfrei leben
Allianz zur Umsetzung der Europarats-Konvention gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt
Im Zusammenhang mit der Evaluierung der österreichischen Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, auch bekannt als Istanbul-Konvention, hat sich die Allianz „Gewaltfrei leben“ gegründet. Sie ist ein Zusammenschluss von österreichischen Opferschutzeinrichtungen und Zivilgesellschaftsorganisationen, welche sich der Verbesserung des Gewaltschutzes in Österreich widmet. Die Allianz hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Umsetzung der GREVIO Empfehlungen zu unterstützen und die Implementierung der Istanbul-Konvention voranzutreiben.
Mitglieder der Allianz „Gewaltfrei leben“ sind:
- Afrikanische Frauenorganisation
- Asylkoordination Österreich
- Asylzentrum Wien der Caritas
- Beratungsstelle DIVAN der Caritas GrazSeckau
- Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen
- Bundesverband der Gewaltschutzzentren/Interventionstellen
- Die Möwe - Kinderschutzzentren
- Frauen:Rechte jetzt!
- Gewaltschutzzentrum Salzburg
- maiz – Autonomes Zentrum von & für Migrantinnen
- MITEINANDER LERNEN – Birlikte Öğrenelim – Beratungs-, Bildungs- und Psychotherapiezentrum für Frauen, Kinder und Familien
- Orient Express
- Österreichischer Frauenring
- Peregrina – Bildungs-, Beratungs- und Therapiezentrum für Immigrantinnen
- Verein Efeu
- Verein LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen
- Verein menschen.leben
- Verein Wiener Frauenhäuser
- WITAF
- Zentrum polis – Politik lernen in der Schule
- *peppa Mädchenzentrum der Caritas Wien
- Arbeitsgruppe opferschutzorientierte Täterarbeit
- Bund der Autonomen Frauenberatungsstellen bei sexueller Gewalt Österreich– BAFÖ
- Bundesgemeinschaft Opferschutzorientierte Täterarbeit / BAG-OTA
- Caritas Wien
- Frauenberatungsstelle bei sexueller Gewalt Steiermark
- Gewaltschutzzentrum Oberösterreich
- Homosexuelle Initiative Wien – HOSI
- Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte
- Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen
- Ninlil – Empowerment und Beratung für Frauen mit Behinderung
- Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser
- Verein Miteinander lernen
- Verein Notruf - Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen
- WEISSER RING
- WIDE – Entwicklungspolitisches Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven
- Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie
- ZÖF – Zusammenschluss Österreichischer Frauenhäuser
