Bakhti nicht vergessen!
Die Allianz „Gewalfrei leben“ ist tief betroffen davon, dass Bakhti, eine Jugendliche, die versuchte sich aus der Gewalt durch den Vater und Bruder zu befreien, und die Hilfe und Schutz suchte, von ihrem Bruder getötet wurde. Am 22. 08. 2018 findet die Verhandlung statt. Bakhti kann sich selbst nicht mehr vertreten und soweit uns bekannt ist, wird es keine Opfervertretung geben. Wir haben es uns als Opferschutzeinrichtungen zur Aufgabe gemacht, an Bakhti zu erinnern. Sie hatte den Mut sich gegen die Gewalt zu Wehr zu setzen und sie hat dafür mit dem Leben bezahlt. Die Allianz „Gewaltfrei leben“ setzt sich dafür ein, dass Bakhti ein Denkmal gesetzt wird und dafür, dass Schutz und Hilfe für Mädchen und junge Frauen in ähnlichen Situationen verbessert werden.
Bakhti war eine Jugendliche aus einer afghanischen Familie und lebte in Wien. Im September 2017 wurde sie ermordet. Wie so oft kam die Tat nicht „aus heiterem Himmel“. Es ging Bakhti nicht gut in ihrer Familie, so berichteten die Medien. Sie durfte keine Freundinnen haben, wurde gezwungen, ein Kopftuch zu tragen. Sie war von Zwangsheirat bedroht und wurde auch geschlagen. Doch sie wollte sich der Gewalt ihrer patriarchalen Familie nicht fügen, sie versuchte sich zu befreien. Sie hatte einen Freund, was zu mehr Gewalt führte, als der strenge Vater davon erfuhr. Im Juni 2017 flüchtete sie nach Graz und erstattete eine Anzeige wegen fortgesetzter Gewalt durch ihren Vater und ihren Bruder. Bakhti gab auch an, dass der Vater ihr mit dem Umbringen gedroht hatte.
Sie wurde in einem Krisenzentrum in Wien untergebracht. Laut Zeitungsmeldungen wandten sich die Eltern an einen Imam, der Bakhti schließlich zur Rückkehr in die Familie überredet haben dürfte. Die Staatsanwaltschaft Wien lud Bakhti vor – anscheinend, um sie auf ihr Recht, sich der Aussage zu entschlagen, aufmerksam zu machen. Vermutlich unter dem Druck der Familie und aus Angst vor der Gewalt entschlug sich Bakhti. Leider wurde in der Folge die Anzeige eingestellt.
Doch Bakhti versuchte im September 2017 erneut sich zu befreien und flüchtete wieder in das Krisenzentrum. Auf dem Weg in die Schule dürfte ihr Bruder ihr aufgelauert und sie mit einem Messer getötet haben. Mädchen und junge Frauen, die Opfer von Gewalt werden, haben das Recht auf Prozessbegleitung. Hatte Bakhti Prozessbegleitung?
Im Zusammenhang mit dem schrecklichen Tod von Bakhti stellen sich uns als Allianz von Einrichtungen, die sich für die Umsetzung der Istanbul-Konvention einsetzen, einige Fragen: Hatte Bakhti eine professionelle Einrichtung, die sie bei der Anzeigenerstattung und der Aussage bei der Staatsanwaltschaft begleitete, wie es auch das Gesetz vorsieht? Warum gelang es den Gefährdern so rasch, Bakhti zu beeinflussen und sie dazu zu bewegen nach Hause zurückzukehren? Warum wurde die Anzeige so rasch eingestellt? Wir möchten dazu beitragen, dass Mädchen und junge Frauen wie Bakhti in Zukunft noch besser geschützt werden.
Gefährlichkeitseinschätzung und Sicherheitsplanung bei Morddrohungen enorm wichtig
Wiederholte Gewalt, Ausübung von Zwang und Druck und Morddrohungen gehören zu den Gefährlichkeitsfaktoren bei Gewalt in der Familie. Oft eskaliert die Gewalt gerade in Fällen, in denen ein Opfer versucht sich zu befreien. Extreme patriarchale Einstellungen und Haltungen machen die Situation noch gefährlicher. Es stellt sich die Frage, ob sich die Institutionen, an die sich Bakhti wandte, der Gefahr genügend bewusst waren.
Um den Opfern wirkungsvollen Schutz zu bieten, sind in solchen Fällen systematische Risikoeinschätzungen, multi-institutionelle Fallkonferenzen und eine koordinierte Sicherheitsplanung dringend notwendig. Diese Maßnahmen gab es in Wien bis Herbst 2017. Es ist dringend notwendig, sie rasch wieder einzuführen, denn jeden Tag kommt es bei Gewalt in der Familie zu gefährlichen Situationen, die eskalieren können.
Mädchenhaus und niederschwellige Beratungseinrichtungen für Mädchen und junge Frauen notwendig
Mädchen und jungen Frauen, die von Gewalt betroffen und bedroht sind, brauchen spezifische Einrichtungen wie Mädchenhäuser. Sie werden in Frauenhäusern derzeit nur in Ausnahmefällen aufgenommen und die Krisenzentren verfügen oft nicht über die entsprechenden Ressourcen bzw. Sicherheitsvorkehrungen.
Mädchen und junge Frauen aus migrantischen Familie benötigen weiter dringend niederschwellige Beratungseinrichtungen. Zwar gibt es Beratung und eine Notwohnung für Mädchen, die von Zwangsheirat betroffen sind; doch bei anderen Problemen von Gewalt und Zwang, für die diese Einrichtungen nicht die Kapazität haben, gibt es keine adäquaten Einrichtungen. Mädchen und junge Frauen müssen jederzeit die Möglichkeit haben, rasch und unbürokratisch an einen sicheren Ort zu flüchten und unbegrenzt Aufnahme zu finden. Ein sicherer Ort, an dem Mädchen und junge Frauen parteiliche Hilfe, Unterstützung und Schutz erhalten, macht es erst möglich, dass der Gewalt Einhalt geboten wird.
Gewalt ist nicht kulturell bedingt!
Immer wieder wird suggeriert, dass geschlechtsspezifische Gewalt kulturell bedingt sei. Die Daten zu Gewalt an Frauen und Kindern zeigen jedoch, dass es sich um ein globales Problem handelt, das in allen Ländern und Kulturen vorkommt. Zweifelsohne haben bestimmte gesellschaftliche und historische Rahmenbedingungen Einfluss auf die Art und Weise, wie mit geschlechtsspezifischer Gewalt umgegangen wird. In Österreich hat etwa die jahrzehntelange Arbeit der Frauenbewegung dazu geführt, dass Gewalt in einem weitaus stärkeren Maße enttabuisiert und thematisiert wurde, als das für andere Regionen gilt. Die Idee, dass geschlechtsspezifische Gewalt kulturell bedingt und quasi unabänderlich in Individuen verankert sei, ist vereinfachend und verdeckt den Blick auf komplexe Zusammenhänge.
Wer allen Menschen ein Leben frei von Gewalt ermöglichen will, darf nicht pauschal über große Gruppen von Menschen urteilen, sondern muss die speziellen Bedürfnisse und Lebensrealitäten – auch und besonders von migrantischen – Frauen wahr- und ernst nehmen. Dazu braucht es spezialisierte Beratungseinrichtungen und Anlaufstellen und viel Sensibilisierungsarbeit. Dafür müssen entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt und bestehende Möglichkeiten von allen betroffenen Institutionen entsprechend ausgeschöpft werden. Nur so kann das Recht jeder Frau auf ein selbstbestimmtes, gewaltfreies Leben sichergestellt werden. Wir werden Bakthi nicht vergessen
